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Zürcher S-Bahn – wer gewinnt?
Briefing 10/24

Es geht um den nächsten Milliardenauftrag der SBB. Das Projekt nennt sich «Zürcher S-Bahn» und umfasst 116 Doppelstockzüge als Ersatz für die alten SBB Re 450 sowie einer Option für 84 weitere Züge, insgesamt ein Volumen gegen CHF 2 Mrd. Spannend wird die Frage sein, ob die SBB von ihrer 1-Flottenpolitik abweichen kann bzw. muss. Seit 2008 gewinnt immer der gleiche Anbieter aus der Ostschweiz alle Zuschläge – von den FV-Dosto Fernverkehrszügen einmal abgesehen. Der Zuschlag ist nächstes Jahr zu erwarten.

Stadler, fast immer am Zug

Nachdem StadlerRail  bereits im Frühling 2021 in den Genuss einer höchst fragwürdigen Option für 60 weitere RegioDostos kam (RABDe 512, Volumen CHF 1,3 Mrd.) sollte sich das folgende Jahr als regelrechter «Zuschlagsregen» präsentieren. Aus einem Vertrag aus dem Jahr 2008 (RegioDosto/NDW) wurden zunächst Optionen gezogen, die sich derart vom Grundmodell unterschieden, dass eine Neuausschreibung nötig gewesen wäre. So hat das Drehgestell des neuen RABDe 512 einen neuen Achsstand mit zahllosen Anpassungen im heiklen Einstiegsbereich, hinzu kommen zahlreiche Änderungen, die den Sinn und Zweck einer Option (= einseitig ausübbares Recht) mächtig überstrapazieren[1]. Aus Rücksicht auf eigene Zuschlagschancen im bevorstehenden Monsterdeal über bis zu 510 einstöckige Triebzüge verzichteten alle Konkurrenten auf eine Beschwerde gegen den genannten Optionszuschlag, trotz klagefester Beschwerdegründe, vergebens. Auch der Monsterdeal (Volumen des 1 Abrufs über 286 Fahrzeuge ca. CHF 2 Mrd., samt einer Option über weitere 226 Einheiten, Volumen etwa CHF 1,5 Mrd., also Fahrzeuge über CHF 3,5 Mrd.) ging in die Ostschweiz. Hinzu kommt ein überhasteter Optionsentscheid für 7 einstöckige Girunos im Wert von je CHF 35,5 Mio., Gesamtwert CHF 248,5 Mio., gezogen 2022, obschon diese erst ab 2026 gebraucht werden und die geforderte Höchstgeschwindigkeit von 265 km/h nicht erreichen. Stadler ist somit in nur 2 Jahren in den Genuss von Zuschlägen von insgesamt CHF 5 Mrd. gekommen, ein absoluter Rekord  in der Schweizer Bahnvergabegeschichte. 

Kann die SBB Stadler bei dieser Zuschlagsfülle erneut berücksichtigen?

BaBe 2025

Leider sind meine Versuche, an die Ausschreibungsunterlagen als interessierter und einschlägig erfahrener Vergabejurist heranzukommen allesamt gescheitert. Versuche, wenigstens den Entwurf des Werkliefervertrages einsehen zu können scheiterten sowohl bei meinem ehemaligen Arbeitgeber Alstom (ehemals Bombardier) wie auch bei der SBB-Rechtsabteilung. Der Entwurf WLV Zürcher S-Bahn scheint ein Staatsgeheimnis zu sein. Immerhin hat mich der für das Projekt BaBe 2025 (Bahnbeschaffungen 2025) zuständige Leiter Rollmaterialentwicklung der SBB freimütig über die Stossrichtungen von BaBe 2025 informiert.  BaBe 2025 wurde nach den vielfältigen Problemen im Rahmen der Beschaffung FV-Dosto ins Leben gerufen, nachdem die SBB offenbar festgestellt hat, dass nicht nur das Unvermögen des Lieferanten, sondern auch eigene Unzugänglichkeiten zum ernüchternden Resultat geführt haben. Zu denken ist an inkohärente, Change-trächtige Anforderungskataloge, unkontrollierte Störmanöver von Dritt-Stakeholdern (insb. Behindertenverbänden), obsolete, ja unerfüllbare Anforderungen (WAKO, DACH-Zulassung etc.) und vielleicht auch regelrechte Knüppelverträge, erzwungen und oktroyiert. Vor diesem Hintergrund erscheinen die Verlautbarungen zu BaBe 2025 geradezu paradiesisch: die SBB will vorausschauend, integrativ, modular und ausgewogen beschaffen, d.h. gesetzliche und normative Handlungsspielräume nutzen, Projekte rechtzeitig initialisieren, bedürfnisgerecht beschaffen (alles eigentlich selbstverständlich), eigenständig beschaffen, Kooperationen mit Partnern nur im Ausnahmefall eingehen (auf DACH Zulassung, verzichten),  Plattformfahrzeuge mit erprobten, standardisierten Komponenten einkaufen (Stadler-Staatsbahnen als Vision), Innovationen und SBB-spezifische Anforderungen nur ausnahmsweise anfordern (WAKO lässt grüssen) und schliesslich die Wettbewerbssituation zwischen den Rollmaterialherstellern nutzen  (Mail von Christian Frisch, Leiter Rollmaterialentwicklung SBB vom 28.2.2024).

Speziell der letzte Punkt lässt aufhorchen. Die Wettbewerbssituation im Parallelprozess scheint ein Luxus zu werden, wenn die Teilnehmer schwinden. An der Monsterausschreibung für einstöckige Triebzüge waren ursprünglich 5 Anbieter beteiligt. Im selektiven Verfahren fielen zwei Ausländer raus (nicht bekannt welche). Verblieben sind: Alstom, Siemens und Stadler. Unter diesen drei Anbietern spielt sich der sogenannte «Wettbewerb» ab. Ausser Stadler besitzt kein Anbieter namhafte Produktionsstätten in der Schweiz. Der einzige Standort von Alstom, Villeneuve (VD) ist massiv redimensioniert und neu auf Serviceleistungen ausgerichtet worden. Fällt somit ein Entscheid unter dem Gesichtspunkt der nationalen Wertschöpfung steht der Gewinner jetzt schon fest. Es ist somit fast zynisch, wenn die SBB von einer Wettbewerbssituation unter den Anbietern spricht, diese gleicht einer reinen Fiktion.

Ausschreibungsvergleich

Die auf simap.ch zugängliche Ausschreibung ist im Hinblick auf das gegenständliche Volumen der Beschaffung äusserst knapp und formell gehalten. Dies hat wohl damit zu tun, dass mit den Firmen, die sich zum Informationsaustausch angemeldet haben, wesentliche Inhalte der Beschaffung schon besprochen worden sind. Nicht einmal die Zuschlagskriterien und deren Gewichtung werden kommuniziert, was gerader im Hinblick auf das neue Beschaffungsrecht mit Paradigmenwechsel «Nachhaltigkeit» besonders interessant wäre. Das Publikum soll nichts erfahren.

Im Vergleich dazu die simap.ch-Ausschreibung «Fernverkehr Doppelstockzüge»: ein detailliertes kompliziertes Dokument, das neben dem Hauptangebot, zahlreiche Varianten, Optionen, Teilangebote, Anforderungen, Ausschlusswarnungen, detaillierte Eignungs- und Zuschlagskriterien enthält, die eine vernünftige Lektüre zwar erschweren aber immerhin einen ersten Eindruck über die Komplexität der Ausschreibung vermitteln. Ganz anders das nun laufende Verfahren. Es wäre zu wünschen, dass neben den Anbietern auch die interessierte Bahn-Community vom materiellen Inhalt dieser Ausschreibung erfahren könnte. Vielleicht wäre ein Mitdenken sogar nützlich, gerade auch deshalb , weil der für komplexe Beschaffungen vorgeschriebene gesetzliche Dialog (Art. 28 BöB) nicht zum Zuge kommt. Persönlich würde mich der Inhalt des Entwurfes des Werkliefervertrages  interessieren, sein unverhandelbarer Teil – speziell im Vergleich mit seinem Vorgänger im Projekt FV-Dosto. 

Fazit

Der Ausgang dieser Beschaffung, die im nächsten Jahr entschieden wird, verspricht höchste Spannung. Kommt der Favorit Stadler erneut zum Zug werden sich die beiden Konkurrenten Alstom und Siemens bis auf weiteres aus dem CH-Markt verabschieden. Die SBB läuft dann Gefahr, einem Klumpenrisiko ausgesetzt zu sein. Schon jetzt kämpft Stadler mit einem zu hohen CHF, die EBIT-Marge ist unterdurchschnittlich (aktuell bei fragwürdigen 2%).[2] Die SBB ist somit gut beraten, die Angebote der Konkurrenten wohlwollend zu prüfen.

Anschrift des Verfassers:

Bertrand Barbey, Dr.oec. HSG, lic.iur. 
RailöB GmbH, bertrand.barbey@railoeb.ch


Briefing 10:24


[1] EBR, 3/2023, S. 243 ff. 

[2] Stadler Geschäftsbericht 2023, S. 10