Diese Woche werden wir von der nächsten Hiobsbotschaft in Sachen FV-Dosto überrascht. Der Fahrkomfort soll mit einer Radikalkur verbessert werden. Die Kosten des Prototyps trägt der Hersteller und Nachfolger Alstom, jene der Umrüstung die SBB, und damit der Bund bzw. der Steuerzahler. Es geht um 62 Fahrzeuge und um 920 (!) Drehgestelle, die umgerüstet werden sollen. Über den vermutlich 3-stelligen Millionenbetrag, der in dieses zweifelhafte Unterfangen investiert werden soll, herrscht zurzeit noch Stillschweigen.
Wir rollen nachstehend die WAKO- Leidensgeschichte nochmals auf und führen Gründe an, wieso von diesem Abenteuer Abstand genommen werden sollte.
Fahrkomfort, objektive Kriterien
Ich sitze zurzeit im ICN/IC 5 von Lausanne nach Olten. Der ICN ist ein einstöckiger Neigezug des Herstellerkonsortiums Alstom/Bombardier, der vor gut 20 Jahren in Betrieb genommen worden ist. Er hat sich bewährt und ist heute einer der beliebtesten Züge der SBB und dies trotz grosser anfänglicher Probleme.[1] Der Zug ist elegant, aber unruhig, im Vergleich zum FV-Dosto aber garantiert nicht schlechter. Im Speisewagen schwingt der ICN hin und her und der Arbeitsplatz am Computer ist suboptimal, was sich gut im Vergleich mit dem Stillstand im Bahnhof Neuenburg erkennen lässt. Unklar, auf welche Ursache (-n) die ungenügende Laufruhe zurückzuführen ist. Sind es die Drehgestelle, die bogenschnelles Fahren ermöglichen, sind es die Trassen, die einmal geschmeidig und ohne Widerstand laufen, dann aber ruckartige Bewegungen des Zuges generieren, ist es die Geschwindigkeit, mit der der Zug fährt, die relative Belegung, die Verteilung derselben im Zug oder ist es einfach nur meine persönliche Befindlichkeit, die das Urteil über die Laufruhe gut oder schlecht ausfallen lässt.
Im Fall des FV-Dosto haben wir es mit einer Disqualifikation zu tun, die dem Zug seit seiner Inbetriebnahme anhaftet und die er nicht mehr loswird. Als «Schüttelzug» ist dieses Fahrzeug über Jahre vor und während seiner Inbetriebnahme tituliert worden. Sein Fahrkomfort wurde über Jahre von einer höchst angriffigen und sensationshungrigen Presse derart schlecht geredet, dass er heute kaum mehr objektiv bewertet werden kann. Es kursierten Geschichten von unzumutbaren Zuständen für das Fahrpersonal und die Bahnkunden.[2]
Umso mehr war man erstaunt, dass das Thema Fahrkomfort seit der vollständigen Inbetriebnahme der Flotte kaum mehr jemanden beschäftigte. Vielmehr brillierte der FV-Dosto durch beste Noten bei Verfügbarkeit und Zuverlässigkeit, ja er erzielte im Jahr 2022 sogar den Spitzenplatz in Sachen Pünktlichkeit im internationalen DACH-Vergleich. Positive Meldungen über den FV-Dosto waren allerdings nach dem Medien-Tsunami der Ent–wicklungsjahre kaum mehr der Rede wert.
Objektive Kriterien des Fahrkomforts
Bis zum heutigen Tag fehlen klare Entscheidungsgrundlagen zum Thema WAKO. So wurde im Jahr 2023 kurzerhand ein Verzicht auf WAKO ausgesprochen. Damit wurde auch das initiale Knotenkonzept mit einem Stundentakt zwischen den Zentren der Ost- und Westschweiz über den Haufen geworfen. Die wahren Gründe dieses Entscheides sind nicht bekannt. Sind es die Investitionen in bogenschnelles Fahren, die zu hoch waren, sind es unzumutbare Komfortzustände im Zug oder, was am wahrscheinlichsten ist, eine launenhafte SBB-Strategieänderung, die «auf bewährte Technik» setzt. Sind es Wartungs- und Unterhaltskosten in unbestimmter Höhe, die in der Lebensdauer der Flotte – 40 Jahre, oder doch nur 25 Jahre? – auf die SBB zukommen werden? Fest steht: WAKO als Technologie funktioniert und ist rechtlich abgenommen. Die SBB will einfach keine Risiken mit neuen Technologien eingehen – hat diese aber in der Ausschreibung von allen Lieferanten gefordert. Alle Anbieter mussten diese Technologie entwickeln, keiner hatte sie bereits erprobt. Die SBB hat eine Risikostrategie gefordert, rudert aber heute zurück zu bewährter herkömmlicher Technologie.
Messvergleiche
In dieser Reihe wurde schon mehrfach moniert, dass in Sachen Fahrkomfort Vergleichs–zahlen und Messreihen zu anderen Flotten fehlen. Dies wäre aber essenziell bei einem derart weitreichenden Entscheid, wie jenem, der letzte Woche gefallen ist. Es scheint so, dass der Fall derart klar ist, dass Vergleichsmessungen entbehrlich sind. Faire Vergleichs–messungen, bei gleicher Belegung, gleicher Geschwindigkeit, gleichen Trassen und statistisch relevanten Komfortempfindungen aller Passagiere. Nota, dass diese im 16-Teiler über 1000 Personen umfassen, darunter viele Bahnkunden, die mit dem FV-Dosto überhaupt kein Problem haben, ja ihn allen anderen Zügen sogar vorziehen.
Fazit
Solange diese schlüssigen Vergleichszahlen im Direktvergleich mit anderen Doppelstöckern fehlen, kann der teure Entscheid der SBB nicht nachvollzogen werden. Sie wird sich dazu noch viele unangenehme Fragen gefallen lassen müssen.
Anschrift des Verfassers:
Bertrand Barbey, Dr.oec. HSG, lic.iur.
RailöB GmbH, bertrand.barbey@railoeb.ch
[1] https://www.hochgeschwindigkeitszuege.com/schweiz/icn.php;
[2] https://www.nzz.ch/schweiz/zugbegleiter-wollen-arbeitseinsaetze-im-schuettelzug-dosto-begrenzen-ld.1648599