Beim Anblick dieses Selfies kann es einem kalt den Rücken heruntergehen. Man muss annehmen, dass von höchster Stelle und im Einklang mit der Regierung versucht wurde, Einfluss auf die Ringier Redaktion zu nehmen, um Freunde in ein helles Licht zu rücken. Im Clinch der SBB mit Bombardier hatte die SBB genau so viel zu verlieren wie Bombardier, wohlwollende Berichterstattung bedeutete damit, die Lieferantin anzuschwärzen, um ja die SBB vor Kritik zu bewahren. Die Intensität der negativen Berichterstattung verunmöglichte jede andere Sicht. Die konzeptionellen Mängel der Ausschreibung waren nie ein Thema, über die innovativen Seiten der Beschaffung wurde schon gar nicht berichtet. Auch jetzt, wo die Fahrzeuge tadellos fahren, punkto Pünktlichkeit die Rangliste anführen und in manchen technischen Belangen überzeugen (z.B. Energieeffizienz, Bremsen etc.) fehlen korrigierende Berichte. Nur ein Funken Fairness würde dies gebieten.
Blick zurück
In den Briefings 2/22, 12/22 und 16/22 wurden einige Dauerthemen, die wie Pech am Doppelstöcker anhafteten aufgeführt. Es waren dies, ohne Anspruch auf Vollständigkeit, die Themen «Verzug», «Fahrkomfort», Parkplatznot «Kinderwagen», Fahrräder», «Diskriminierung von Behinderten», «Aerosole und COVID-19», «Geruchsimmissionen Bahnhof Löwenstrasse», «Swissness», und neuerdings, es ist nicht zu glauben, «nicht-gendergerechte Kinderabteile» [1], die in der Summe und v.a. in der langanhaltenden medialen Kampagne gegen den Zug kaum mehr zu korrigieren sind. Die starke Proliferation der negativen Berichterstattung in sämtlichen Medien der Deutschschweiz – neben den lautstarken Ringier Medien nahmen das Fernsehen SRF und der Tamedia Konzern eine prägende Rolle ein[2] – hat dazu geführt, dass heute die Hingucker-Flotte der SBB, trotz herausstechendem Design, verlässlichem Betrieb, Spitzenplätzen in Sachen Pünktlichkeit ein verstossenes Dasein fristet. In den heute noch abrufbaren Beiträgen zum Thema Bombardier/FV-Dosto geht es in erster Linie um die Anprangerung und Anschuldigung der Lieferantin und kaum um die fundierte Auseinandersetzung mit den relevanten Ursachen.
Rückblickend muss man sich fragen: war die Kampagne gegen den FV-Dosto ehrverletzend und rufschädigend, also medienrechtlich relevant ? Bestünde aus aktueller Sicht eine Verpflichtung zur Gegendarstellung? Wäre diese imstande, eine Imagekorrektur zu bewirken? Wie verhält es sich mit dem Berufsethos des Journalisten, der den FV-Dosto jahrelang mit Kritik eingedeckt hat und heute kleinlaut feststellen muss, dass es sich um einen wunderschönen, innovativen, energieeffizienten und pünktlichen Zug handelt?
Angenommen, es bestand eine Standleitung zwischen der SBB (Andreas Meyer) und dem Boulevard Leitmedium Blick (Marc Walder), wie das eingangs abgelichtete Selfie insinuiert – mit Standleitungen hat Herr Walder ja Erfahrung – wäre zu fragen, was damit bezweckt worden ist. Cui bono? Wer profitiert von einer derart einseitigen Kampagne? Es sind dies nur zwei Kandidaten: die SBB und die Konkurrenz, im Wesentlichen der verbleibende Rollmaterialanbieter aus der Ostschweiz. Der Fokus auf Verzug und Mängel bleibt am Lieferanten hängen, unabhängig davon, ob Dritte den Verzug mitverschuldet haben oder ob Mängel auch mit einem unrealistischen Anforderungskatalog zu tun haben. Die SBB kann so die Rolle der gebeutelten Kundin einnehmen, ohne dass ihr Tatbeitrag zum Thema wird. Für bevorstehende Gross-Flottenbeschaffungen kommt eine Firma wie Bombardier (heute Teil von Alstom) sowieso kaum mehr in Frage, damit wird die Bahn frei für eine Einbahnstrasse nach Bussnang. Interessant ist immerhin, dass im Hinblick auf die im nächsten Jahr stattfindende Ausschreibung «Zürcher Verkehrsverbund» Stimmen laut werden, die von einem Klumpenrisiko sprechen (vgl. Forum 2/23).
Fazit
Bei der Lektüre der letzten Ausgabe der Eisenbahnrevue (3/23) reibt man sich die Augen: «SBB-Flirt in Oensingen liegengeblieben» (S.107), «Lieferverzögerung beim ersten Tramlink für Bern» (S. 107), «Untaugliche DB-Kiss abgeschleppt» (S. 127), Überführung von Stadler-Metro nach England abgebrochen» (S. 135), «Ausfall eines Fahrzeuges der Waldenburgerbahn wegen eines Motorenschadens und Montagefehlers» (S. 143). Wie schnell kann man aus vielen kleinen und grossen Ausfällen eine knackige Story bauen und beim Adressaten dank einem medialen Multiplikatoreffekt den Lieferanten nachhaltig anschwärzen? Wir verzichten hier darauf und halten bloss fest, dass es ein Leichtes ist, Material gegen einen Lieferanten zu sammeln. Die Auflage der EBR liegt bei etwa 10000 Stück, jene des «Blick» gut 10-mal höher (Quelle: Wikipedia). Im Unterschied zum Boulevard kommen Beiträge in der EBR sehr nüchtern und sachlich einher, faktenbasiert. Der Redaktor Walter von Andrian erlaubt sich allerdings, in seinen Kolumnen Entscheidungen und technische Rahmenbedingungen sehr pointiert zu hinterfragen, ohne Polemik gegen Entscheidungsträger. Das macht sein Medium sehr attraktiv. Dem kollektiven Bashing gegen den FV-Dosto stand er all die Jahre distanziert und kritisch gegenüber.
Auch gehäufte Negativmeldungen gegen einen Lieferanten wie in der letzten Ausgabe werden als Randnotizen festgehalten.
Steht jemand auf der Standleitung, damit der umtriebige Blick-Redaktor, daraus keine Story macht?
Anschrift des Verfassers:
Bertrand Barbey, Dr.oec. HSG, lic.iur.
RailöB GmbH, bertrand.barbey@railoeb.ch
[1] TA 17.10.22
[2] srf.ch verzeichnet Stand heute (1.3.23) unter dem Stichwort «FV-Dosto» immer noch 27 Beiträge, tagesanzeiger.ch 14 Beiträge, blick.ch 8 Beiträge, nimmt man nur diese drei Quellen wahr ergeben sich insgesamt 49 Beiträge, die den Zeitraum der letzten 5 Jahre abdecken. Der Grundtenor aller Beiträge ist negativ, der entstandene Kollateralschaden offensichtlich irrelevant.