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Neues Vergaberecht – ein Grund zum Feiern?
Briefing 10/22

 

Neues Vergaberecht – ein Grund zum Feiern?

Das neue Vergaberecht wird allseits als Erfolg gefeiert. Im Vordergrund steht dabei die Harmonisierung der Beschaffungsregeln in Bund und Kantonen, zweifellos eine Herkulesaufgabe, wenn man bedenkt, dass am Ende 25 kantonale Parlamente die gemeinsam verabschiedete  IVöB 2019 voraussichtlich ohne grössere Abweichungen gutheissen werden. Stand heute ist dieses Konkordat in 3 Kantonen in Kraft, in 16 Kantonen läuft das Beitrittsverfahren, 6 Kantone lassen sich offenbar noch Zeit.

Dies allein ist allerdings noch kein Grund zum Feiern. Die vom Thema der nachhaltigen Beschaffung geprägte Revision ist stark von schwammigen und schwer messbaren Zuschlagskriterien geprägt, die das Ermessen der Zuschlagsbehörden vergrössern. Der „wirksame und faire Wettbewerb“ (unter Lieferanten) soll gefördert werden, ohne dem Problem der Nachfragemacht der Beschaffungsstellen auch nur mit einem Satz Beachtung zu schenken. Verhandlungen sind grundsätzlich ausgeschlossen – auch wenn komplexe Beschaffungen anstehen. Mit einem Wort: Die Auftraggeberin wendet ihre allgemeinen oder speziellen Geschäftsbedingungen an – basta.

Die Revision auf einen Blick

 Jeder, der sich zu den Experten des schweizerischen Vergaberechtes zählt hat zum Thema der langen und komplexen Revision des schweizerischen Vergaberechtes schon eingehend Stellung genommen.

Alle Autoren begrüssen die Harmonisierung, warnen aber vor möglichen Sonderregelungen in den Kantonen, wie dies z.B. im Kanton Aargau der Fall ist, wo die verpönten Zuschlagskriterien des „unterschiedliche Preisniveaus“ und der „Verlässlichkeit des Preises“ nun doch Eingang in die kantonale Gesetzgebung gefunden haben (vgl. Art. 29/1 BöB, §2 Dekret über das öffentliche Beschaffungswesen).

Die aus meiner Sicht relevantesten Revisionspunkte betreffen drei Themenkreise:

  1. stark gestiegene Komplexität der Zuschlagsfindung
  2. schwache Ausprägung der Anbieterinteressen
  3. Dialog als Sonderregelung für komplexe Beschaffungen, ohne neue Impulse

Komplexe Nachhaltigkeit  

Neu will das Vergaberecht nicht nur den wirtschaftlichen Einsatz öffentlicher Mittel fördern, sondern auch dafür sorgen, dass diese Mittel „volkswirtschaftlich, ökologisch und sozial nachhaltig“ zum Einsatz kommen. Damit öffnet sich ein grosses Feld von Zielkonflikten, denen die Beschaffungsstellen fortan ausgesetzt sein werden. Klar, es ist durchaus möglich, dass der Zuschlag all diese Kriterien im Vergleich zu Konkurrenzangeboten auch am besten erfüllt. Der Entscheid wird aber massgebend von der Gewichtung und Messung dieser Kriterien abhängen. So steht der Beschaffung einer Fahrzeug–flotte von Elektro-Fahrzeugen im Vergleich zu herkömmlichen Benzinern ökologisch nichts im Weg, es sei denn man gewichte die Arbeitsbedingungen der Kobalt-Minenarbeiter im fernen Kongo stärker als ökologischen Fussabdruck von Benzinfahrzeugen. Weiter muss bei steigenden Strompreisen und einer potenziell störungsanfälligen Stromversorgung die volkswirtschaftliche Nachhaltigkeit dieser Beschaffung hinterfragt werden, v.a. dann, wenn es sich bei der Flotte um Polizei- oder Krankenfahrzeuge handelt. Der Begriff der Nachhaltigkeit ist somit wohl zeitgemäss, wird aber die Selektion des „vorteilhaftesten“ Angebotes (Art. 41 BöB) nicht erleichtern. Daran ändert auch der lange Katalog von Zuschlagskriterien in Art. 29 BöB nichts, die weitestgehend bereits in Aus­schreibungen angewendet wurden.

Schwache Ausprägung der Anbieterinteressen

Die in unseren Briefings 3/22, 4/22 und 7/22 diskutierte Problematik unberücksichtigter Anbieterinteressen wird im neuen Vergaberecht kaum beachtet. Die Rolle der Vertragsgestaltung in komplexen Langzeitprojekten, die Grenzen der Erzwingung unangemessener Geschäftsbedingungen und der Anspruch der Anbieter auf transparente Verfahren und Zuschlagsentscheide bleibt künftigen Revisionen vorbehalten.  Ein Vergleich des neuen Art. 11 VöB mit seinem Vorgänger Art. 29, Abs. 3 altVöB zeigt interessante Unterschiede: Die Auftraggeberin wendet neuerdings nicht mehr nur grundsätzlich, sondern immer ihre allgemeinen Geschäftsbedingungen an, es sei denn, die Art der Leistung und nicht mehr wie früher die Natur des Geschäftes erfordere besondere Vertragsbe­dingungen. Wie man auf dieser Basis der Problematik unkalkulierbarer Risiken in widersprüchlichen und unvollständigen Anforderungskatalogen Herr werden will, bleibt schleierhaft. Auch fehlt ein vergaberechtlich sanktioniertes Verfahren zur Bewältigung von Leistungsänderungen, die Schwellenwerte übersteigen. Das Problem der Nachfragemacht von Vergabestellen wird sodann gänzlich ignoriert, auch wenn sich in Werklieferverträgen immer wieder manifestiert. Die Frage, ob analoge Geschäftsbedingungen wie Langzeitgarantien, exzessive Mehrfachpönalen, Preiskontrollen, Kon­tra­­hierungs­pflichten Dritter etc. im Wettbewerb durchgesetzt werden könnten bleibt eine rein rhetorische und hätte eine Verankerung im Gesetz verdient.  

Erstaunlich auch die mangelnde Transparenz bei der Erläuterung der Zuschlagsentscheide, was sich v.a. bei aufwändigen Angeboten, in die u.U. Millionenbeträge investiert worden sind als besonders stossend erweist. Art. 51 BöB sieht vor, dass die Eröffnung des Zuschlages summarisch zu erfolgen hat, dass neben zwangsläufig anzugebenden Informationen (Verfahrensart, Zuschlagsempfänger, Gesamtpreis des berücksichtigten Angebotes) immerhin die „massgebenden Merkmale und Vorteile des berücksichtigten Angebotes“ summarisch begründet werden müssen. Gerade die gesteigerte Bedeutung des Qualitätswettbewerbes im neuen Recht würde erhöhte Anforderungen an die Begründungspflicht des Zuschlages nahelegen. Doch damit erhöht sich das Risiko von Beschwerden, wovor der Gesetzgeber die Beschaffungsstellen schützen will.

Zu den gestutzten Anbieterinteressen gehören aber auch verkürzte Einreichefristen und Rückschritte im Beschwerdewesen (Wegfall der Gerichtsferien, bei neuerdings einheitlichen 20 Tagen Beschwerdefrist, Wegfall des Beschwerderechtes gegen Verfügungen im Nicht-Staatsvertragsbereich, 56 BöB/IVöB) 

Dialogverfahren – Hoffnung auf neue Impulse

Dass sich mit dem Dialogverfahren komplexe Projekte besser umsetzen lassen, bleibt eine der wichtigsten Hoffnungen des neuen Vergaberechtes. Gerade Ausschreibungen wie die hier im Zentrum stehende Beschaffung SBB/FV-Dosto war zweifellos in Bezug auf technische Risiken und Anforderungen, Tragweite und Relevanz des Beschaffungsgegenstandes, aber auch im Hinblick auf die Vielfalt der involvierten Stakeholder und Zulassungsbehörden ein Projekt, das nicht einfach in einem offenen Verfahren abgehandelt werden konnte. In einem noch folgenden Briefing werden wir speziell auf die Chancen und Gefahren des nunmehr gesetzlich geregelten Dialogverfahrens zu sprechen kommen, aber auch auf die sich anbahnenden Probleme.

 

Anschrift des Verfassers:
Bertrand Barbey, Dr.oec. HSG, lic.iur.
RailöB GmbH, bertrand.barbey@railoeb.ch