Wer erinnert sich noch an die Schlacht um den «Ersatz Tram 2000»-Zuschlag der VBZ? Auf der einen Seite die Beschaffungsstelle VBZ, zweitgrösster Rollmaterialnutzer der Schweiz, auf der anderen Seite der Zürcher Verkehrsverbund (ZVV) mit diametral anderen Beschaffungswünschen als die VBZ, dann drei Anbieter im harten Rennen um den Zuschlag, Bombardier, Siemens und StadlerRail und schliesslich das Verwaltungsgericht Zürich als Schiedsrichter. Eine Prestigebeschaffung für alle Anbieter, v.a. für den erfolgsverwöhnten Konkurrenten aus der Ostschweiz. Medien, allen voran eine instrumentalisierte SRF1 mit einem Rundschau Beitrag als Stimmungsmacher, entsetzte Experten, die ihr weises Haupt schütteln und zu guter Letzt Rücktritts–Forderungen von Stadler Rail gegen den Kopf der VBZ, Guido Schoch. Das Drehbuch erinnert an rauchende Colts und tobende Kampfszenen im Wilden Westen.
Doch wer hat der Rundschau den ominösen Molinari-Bericht zugespielt?
Die Schlagzeilen
Guido Schoch, Direktor der VBZ:
«Die letzten Attacken von Stadler Rail und Siemens galten sogar dem Verwaltungsgericht als unabhängige Beschwerdeinstanz und damit natürlich auch allen Vorinstanzen, die gleich entschieden hatten. Das hat keinen Stil, vor allem dann nicht, wenn man wie Stadler Rail seine Hausaufgaben vorgängig nicht optimal gelöst hat und auf den hinteren Rängen gelandet ist, oder wie Siemens alte, von den Vorinstanzen bereits widerlegte Vorwürfe wieder aufwärmt.»
Auch SRG-Ombudsmann Achille Casanova sah sich genötigt, aufgrund einer Beschwerde einzugreifen. Hier ein Auszug aus dem Beschwerdetext:
„In der Sendung vom 25.2.2015 hat die Rundschau aufgrund eines geheimen Berichtes eine hochgradig unqualifizierte Sendung zur Trambeschaffung ausgestrahlt. Es handelt sich dabei um eine kriminelle Vorgehensweise. Die Ombudsstelle hat durch die Einleitung strafrechtlicher Massnahmen zu reagieren.
Das Zitieren aus einem geheimen Bericht ist sowohl medienethisch wie strafrechtlich nicht zu verantworten. Geheime Berichte haben es in sich, dass der Status nicht geklärt ist, es könnte sich sogar um gefälschte Berichte handeln. Insbesondere bei Berichten im Zusammenhang mit laufenden rechtlichen Verfahren müssen derartige Berichte zwingend geheim bleiben. Dazu kommt, dass derartige Veröffentlichungen von geheimen Berichten zwingend den rechtsstaatlichen Grundsatz der Unschuldsvermutung missachten.»
In seiner Schlussfolgerung war vom SRG-Ombudsmann immerhin eine teilweise Gutheissung dieser Beschwerde zu vernehmen, indem dieser zwar die Veröffentlichung durch die Rundschau des vertraulichen Berichtes Molinari als zulässig betrachtete, die Art und Weise, wie dies geschehen ist, aber als «zu wenig präzis» bezeichnete.
Jeder, der die Rundschau-Berichte heute auf sich einwirken lässt spürt zunächst ein gesteigertes Mass an Neid und Missgunst unter den Anbietern, die sich massiv via Medien in den Zuschlagsentscheid eingemischt haben. Gerade einem «ausländischen» Anbieter wie Bombardier – übrigens damals mit gegen 1000 Mitarbeitern in der Schweiz – , der sich mitten in einem sehr wechselhaften Projekt wie FV-Dosto profilieren musste, gönnte man einen weiteren grossen Zuschlag kaum. Das Seilziehen um den Zuschlag an den besten Anbieter, der gar nicht der Sieger sein kann bzw. darf erstaunt deshalb nicht.
Die Instrumentalisierung der SRF1 Rundschau ist aber offenkundig; es ging nicht mehr um objektive, sprich neutrale Berichterstattung, es ging um klare Parteinahme gegen Bombardier und die VBZ in einem hängigen Verfahren, visualisiert durch eine anklägerische Berichterstattung, mit sehr fragwürdigen Mitteln: fadenscheinige Höhergewichtung öffentlicher Interessen gegenüber Geheimhaltungsinteressen, Kurzschluss-Interpretationen komplexer Sachverhalte, erfundene Korruptionsunterstellungen, ein mit den Füssen getretenes rechtliches Gehör, alles Vorgänge, die eigentlich sanktioniert werden müssten.
Nie geklärt wurde die Frage, wer dem Fernsehen SRF das ominöse Molinari Gutachten zugespielt hat.
Cui bono? Es bleibt dem geneigten Leser überlassen, herauszufinden, wer am meisten von dieser Kampagne hätte profitieren sollen: die unterlegenen Konkurrenten Stadler Rail und/oder Siemens, der ZVV, als beteiligtes Gremium, offenkundig uneinig mit der VBZ betreffend der Zuschlagserteilung an Bombardier, Dritte, die als Bahnpoilitiker in ein laufendes Verfahren eingreifen wollten, profilierungshungrige Journalisten, die mit einer Prestige-trächtigen Reportage auffallen wollten? Leider wurde diese Frage nie abgeklärt, der Quellenschutz hat im Journalismus offenbar Vorrang vor Rechten Dritter.
Immerhin sticht das «Outing» von Peter Spuhler in der Sonntagszeitung vom 1.3.2015 im ungewissen Dunst der vielen möglichen Urheber deutlich hervor. Er fordert unverblümt den Rücktritt von Guido Schoch, immer unter dem Vorbehalt, dass die tendenziösen (?) Feststellungen der Rundschau zutreffen. Stadler Rail sei weggepunktet worden und nur deshalb auf dem enttäuschenden 4. Platz gelandet. Eine PUK solle den Fall untersuchen. Aus diesem Statement spricht zweierlei: Nachdem Stadler Rail das Prestigeprojekt FV-Dosto gegen Bombardier verloren hatte, ging es darum, dieses 2. Prestigeprojekt unbedingt zu gewinnen. Ein 4. Platzierter kann dies nur tun, wenn das Beschaffungsverfahren wiederholt wird. Dazu muss scharfes Geschütz aufgefahren werden.
Anders präsentierte sich die Ausgangslage bei Siemens. Dank einem behaupteten beträchtlichen Preisvorteil von CHF 110 Mio. bei der Fahrzeugbeschaffung gegenüber Bombardier und einer Beschwerdetaktik, die auf die Nachvollziehbarkeit der Gewichtungen und Bewertungen hinzielte, war sich Siemens ziemlich sicher, den Zuschlagsentscheid umstossen zu können. Siemens war deshalb weniger auf die mediale Einflussnahme auf das Geschehen angewiesen als Stadler Rail. Aus alledem folgt der Verdacht, dass es doch noch am Ehesten die Firma Stadler Rail war, die als schlechter Verlierer Dritte instrumentalisiert hat, um zu intervenieren.
Minutiöses Beschaffungsverfahren
Der VBZ kann man in Bezug auf den administrativen Beschaffungsaufwand, der im Projekt betrieben wurde, sicherlich nichts vorwerfen. Die Beschaffung fand zunächst als Präqualifikationsverfahren statt. Der unüblich grosse Kreis von Anbietern – neben den genannten Bombardier, Siemens und StadlerRail nahmen die spanische CAF und Alstom an der Ausschreibung teil – zeugt vom eminenten Interesse der Anbieter an diesem Prestigeprojekt.
Die eigentliche Ausschreibung fand dann unter den präqualifizierten vier Anbietern statt – Alstom zog sich aus dem Rennen zurück, ist aber heute nach der Übernahme von Bombardier indirekt zur Zuschlagsempfängerin geworden.
Im Fokus der Auseinandersetzung stand die Frage nach der Bedeutung und Gewichtung von Musskriterien. Von insgesamt 1600 Anforderungskriterien im Lastenheft waren deren 900 mit einem «M» als Muss-Kriterien versehen. Von Expertenseite wurde ein Ausschluss aller Anbieter verlangt, da jeder Anbieter bestimmte Muss-Kriterien bei formeller Betrachtung nicht vollumfänglich erfüllt hatte. Man kann sich fragen, ob es sinnvoll ist, eine Ausschreibung von der Erfüllung einer derart grossen Zahl von Musskriterien abhängig zu machen. Allerdings drückt dieses hohe Anforderungsprofil die Realität einer wachsenden Komplexität von Bahnbeschaffungen aus, der sich der Markt nicht entziehen kann. Und weiter ist dem Fall die Erkenntnis zu verdanken, dass auch die Erfüllung von Muss-Kriterien auslegungs- bzw. wertungsbedürftig ist und somit durchaus behördliches Ermessen einschliesst.
Im Beschwerdeverfahren wurde offenkundig, dass eine Beschwerde, die primär behördliches Ermessen korrigieren will, indem eigenes Ermessen an die Stelle des behördlichen Ermessens treten soll, von Anfang an zum Scheitern verurteilt ist. Die Beschwerdeschriften von Siemens legen davon ein Zeugnis ab.
Unbefangenheit der Experten
Im engen Oligopol des schweizerische Rollmaterialmarktes ist es unvermeidbar, dass Experten befangen sind. Bahnexperten, heissen sie nun Molinari, Käser oder Weis, sie alle sind mehr oder weniger mit einem der Anbieter aktuell oder potenziell vernetzt. Es ist somit äusserst problematisch, in einem Beschaffungsverfahren Experten für eine «Drittmeinung» beizuziehen, weil der Zuschlagsentscheid angezweifelt wird, nicht nachvollziehbar ist oder nicht den Erwartungen entspricht. Zu Recht verweigerten zwei Anbieter dem Experten Nr. 1 (Käser) Einblick in ihre Offerten. Zu Recht wurden die Schlussfolgerungen von Experte Nr. 2 (Molinari) angezweifelt, dass sie ohne Einblick in die Offerten erfolgt sind. Schliesslich wurde Experte Nr. 3 (TÜV Süd), nach Einblick in sämtliche Akten des Verfahrens (VBZ und Offerten) als glaubwürdig qualifiziert, um die Bewertung der VBZ als korrekt und konform zu sanktionieren.
Um die Suche nach Experten, so es solche gibt und braucht, in künftigen Verfahren abzukürzen ist dringend zu empfehlen von Kandidaten vor deren Mandatierung «Unbefangenheitserklärungen» einzufordern, die zumindest die Selektion erleichtern könnten. Unterschreibt ein Experte nämlich eine Unbefangenheitserklärung, obschon der befangen ist macht er sich einer Falschbeurkundung schuldig, was strafbar ist und seinem Ruf abträglich. Entsprechende Vorlagen existieren für Angestellte des Bundes, ob sie überhaupt Verwendung finden, ist unbekannt.
Warum sich Beschwerden nicht auszahlen?
Fazit dieser unglaublichen Geschichte: Beschwerden lohnen sich im Vergaberecht aller Regel nach nicht! Mit medialer Instrumentalisierung erst recht nicht. Die Ausgangslage mag noch so vielversprechend sein: zerstrittene Beschaffungsgremien, Meinungsüberhang durch beigezogene, im engen Rollmaterialmarkt kaum unabhängige Experten, zahllose Eingaben im Beschwerdeverfahren bei zwei Beschwerdeführerinnen, einer Beschwerdegegnerin, einer Mitbeteiligten mal Anzahl Schriftenwechsel (4) macht im Ergebnis mindestens 10 Schriftsätze mit Hunderten von Beilagen, das alles reicht nicht für eine materielle Umkehr der Entscheidung.
Zudem sind mediale Eingriffe in laufende Verfahren der Verwaltung und der Gerichte zu Recht als schlechter Stil zu bezeichnen, v.a. wenn sich diese Eingriffe auf geheime Akten stützen, die den Beteiligten nicht bekannt sind. Wer die Rundschau instrumentalisiert hat, kann hier offenbleiben, nimmt man allerdings den Furor und den Grad der Betroffenheit zum Massstab scheint der Wind v.a. aus der Ostschweiz zu wehen. Ist die Entscheidung über die aufschiebende Wirkung der Beschwerden einmal gefallen, lohnt sich das Unterfangen erst recht nicht mehr, weil bis zum Entscheid des Bundesgerichtes in der Sache der Vertrag zwischen Zuschlags-empfänger und Beschaffungsstelle längst abgeschlossen ist und nur noch mühsam auf Feststellung und Schadenersatz geklagt werden kann (nur Aufwendungen im Zusammenhang mit der Vorbereitung und Einreichung des Angebots (Art. 58 Abs. 4 BöB).
Es folgt die Ernüchterung: ausser Spesen nichts gewesen.
Anschrift des Verfassers:
Bertrand Barbey, Dr.oec. HSG, lic.iur.
RailöB GmbH, bertrand.barbey@railoeb.ch