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„Justum Pretium“ – vom Traum gerechter Preise
Briefing 6/24


Den frommen Mönchen im Mittelalter verdanken wir nicht nur das bekömmliche Bockbier in der Fastenzeit, sondern auch die Idee des gerechten Preises, des Justum Pretium. Diese auf Thomas von Aquin zurückgehende Lehre versteht unter einem gerechten Preis einen solchen, der ausschliesslich durch die Produktionskosten gerechtfertigt ist (samt standesgemässen Unterhalt) und nicht auf die Nachfrage Rücksicht nimmt. Auch im modernen Beschaffungswesen der Schweiz scheint diese Lehre weithin Zustimmung zu finden, wie jüngste Beschaffungen in der Rollmaterialindustrie nahelegen. Zwar ist nicht mehr die Rede vom gerechten Preis, stattdessen werden vielfältige Instrumente  zu seiner Ermittlung angepriesen: «Preisprüfung», «Einblick in die Kalkulation», «Detailkostenausweisung», «Einsichtsrecht bei fehlendem Wettbewerb», «Open Book Policy», neuerdings das Preisprüfungsrecht als «Kann-Bestimmung» nach Art. 24 VöB bei Beschaffungen ab 1 Mio. CHF. Sie sind allesamt untauglich und gehören abgeschafft

Valium/Librium – die Ernüchterung

seit dem Entscheid des Bundesgerichtshofes vom 13.02.1980 in der Causa Valium/Librium gegen den Basler Pharmakonzern Roche sollte allen Verfechtern rigoroser Preiskontrollen die Aussichtslosigkeit ihrer Bemühungen klar geworden sein. In einem homogenen Umfeld, es ging um den Markt der noch patentgeschützten Tranquilizer Valium und Librium, die markante länderspezifische Preisunterschiede aufwiesen, mussten die Preiskontrollbehörden, im speziellen das Bundeskartellamt, ihre Waffen strecken. Der Vorwurf des Missbrauches einer marktbeherrschenden Stellung, sprich des Preismiss–brauches konnte auch nach jahreslangen Prozessen in den Hochpreisländern nicht nachgewiesen werden. Neben der wichtigen Vorfrage, wann ein Unternehmen als «marktbeherrschend» eingestuft werden kann, begegnete Wissenschaft und Praxis bei der zentralen Frage, wann und in welchem Umfang Preise als missbräuchlich gelten unüberwindbaren Schwierigkeiten. Alle theoretischen Konzepte, wie das Kostenkonzept, das Vergleichsmarktkonzept und das Als-Ob-Konzept[1] erwiesen sich als unbrauchbar. Immerhin bestand am Ende Konsens darüber, dass im Verein der Wettbewerbsformen v.a. der Preiswettbewerb besonderen Schutz verdient. Der Rechtsstreit um korrekte Preise bei Valium und Librium hat somit zumindest dazu beigetragen, die Euphorie um die Machbarkeit von plausiblen, beweisbaren und damit gerechten Preiskontrollen zu dämpfen. Darauf ist im Rahmen der FV-Dosto Kontrollinstrumente zurückzukommen.[2]

 FV-Dosto – fehlender Wettbewerb rechtfertigt rigide Kontrollen

 40 Jahre nach Valium/Librium staunt der Beschaffungsjurist nicht schlecht, wenn er feststellt, mit welcher Akribie die SBB-Vertragsredaktoren dem Problem des «Justum Pretium» Herr werden möchten. Immer noch sind die Beschaffer davon überzeugt, dass durch Stipulierung scharfer Kontrollen auf vielfältige Weise «überhöhte» Beschaffungspreise lokalisiert und bekämpft werden können. Im Vertrag FV-Dosto sind es v.a. die «Detail–kostenausweisung» in 6b des Vertrages und parallel dazu das «Einsichtsrecht bei fehlendem Wettbewerb» in Anhang 21 des Vertrages. Nicht vergessen darf man dabei, dass die angekündigten Eingriffe auf langfristigen preislichen Zusicherungen beruhen, die indexbasierte Anpassungen lediglich der Serienpreise ermöglichen. Anpassungen an die positive und negative (!) Teuerung sind aber dann aleatorisch, wenn das Produktionsland vom vereinbarten CH-Länderindex abweicht.

  1. Der Sinn der Detailkostenausweisung besteht, dem erwähnten Anhang folgend darin, das «Prinzip der Kostenwahrheit» durchzusetzen, «kostenwirksame Elemente detailliert und nachweisbar» darzulegen. Das Instrument soll während der Beschaffungsphase und «gegebenenfalls» während der Vertragsabwicklung angefordert werden können, eine merkwürdige Regelung in einem Vertrag, der nach erfolgtem Zuschlag zustande gekommen ist. Das Instrument will allerdings in keiner Weise «dem Anbieter «angemessene Margen streitig zu machen». Sollte sich dieser jedoch weigern, seine Kalkulation zu lüften droht ihm der Widerruf des Zuschlages wegen «falschen Auskünften» (Art. 11, lit. b, alt BöB). Interessant ist auch die konzeptionelle Ausgestaltung der Detailkostenausweisung, im «vertraglichen» Teil als eigentliche Unterwerfungsbestimmung des Vertragspartners, der zu bestätigen hat, dass er der Detailkostenausweisung zustimmt, dann aber in einer als «Merkblatt» qualifizierten Ergänzung, die ein paar praktische Hinweise erhält, wie die Detailkostenausweisung stattzufinden hat. Diese Trennung von Vertragsanhang und Merkblatt bringt das vertragstechnische Dilemma von Preiskontrollen deutlich zum Ausdruck: es fehlt an konkreten Vorstellungen über die anzuwendende Methodik der Preisprüfung , die den Eingriff plausibel und damit rechtsstaatlich planbar macht. Das unverbindliche Merkblatt täuscht über konzeptionelle Unsicherheiten hinweg. Schlagwörter wie «Kostenwahrheit», «win-win-Situation», «Prüfung der Vollständigkeit, Nachvollziehbarkeit und Richtigkeit der gemachten Angaben» bringen das Dilemma zum Ausdruck. Der weite Weg von den Kosten, Kostenarten, direkt zurechenbaren Kosten, indirekten Kosten, Gemeinkosten zu den schliesslich offerierten Preisen und die Kardinalfrage, bei welchem Prozentsatz noch von «angemessenen Margen» die Rede sein kann werden ausgeklammert. Der kalkulatorische Ausgleich im Konzern darf nicht stattfinden.[3]
  1. Im Anhang 21 des Vertrages wird ein «Einsichtsrecht in die Kalkulation» von Folgeverträgen bei fehlendem Wettbewerb Auch diese Fuchtel der kundenseitigen Einflussnahme ins betriebliche Geschehen des Anbieters kommt in einem bescheidenen formellen Gewand einher und geht auf eine Richtlinie des EFD über die Vereinbarung eines Einsichtsrechtes bei Beschaffungen des Bundes zurück.[4] Der besagte Anhang ist allerdings in keiner Weise verhandelbar, sondern Teil der blauen Regelungen des Vertrages, deren Akzeptanz zwingend für einen Verbleib in der Ausschreibung ist. Im Unterschied zur Detailkostenausweisung erfolgt hier die Preiskontrolle nur, wenn Wettbewerb fehlt. Offen bleibt dabei, ob damit der Wettbewerb im Parallel- undAustauschprozess gemeint ist. Letzterer führt im Vergaberecht ein Schattendasein, wird wohl jedes Verhalten der Beschaffungsstelle, das den Tatbestand von Art 7, Abs. 2 lit. c KG erfüllt, somit objektiv als Erzwingung von unangemessenen Beschaffungsbedingungen qualifiziert werden kann aus der Betrachtung ausgeschieden. Vom Wettbewerb im Parallelprozess kann in der Rollmaterialbranche, wenn überhaupt, lediglich in der Ausschreibungsphase die Rede sein, und auch dann nur, wenn sich mehrere Anbieter um einen Zuschlag streiten. Dies ist nur dann der Fall, wenn sich Mitanbieter neben einem Stammanbieter überhaupt Chancen ausrechnen können, einen Zuschlag zu gewinnen.[5] Im übrigen fehlt es an Wettbewerb nach erfolgtem Zuschlag, insbesondere bei Nachträgen und Verträgen über Optionen.
  1. Im revidierten Recht hat die Idee des «gerechten Preises» überlebt. Art. 24 VöB und die einschlägige Verordnung[6] sehen bei Beschaffungen ab 1 Mio. CHF eine freiwillige Preisprüfung vor. Ob und wann unter diesen Umständen Anbieter überhaupt Hand für eine Preisprüfung bieten werden, bleibt unklar. Die zentrale Frage, wie das Kostenkonzept im internationalen Konzern zu tragfähigen Aussagen führen wird bleibt ungeklärt. Könnte es also sein, dass Preiskontrollen nach neuem Beschaffungsrecht von allein einem stillen Tode entgegenblicken.

Es bleibt zu hoffen. 

Seengen, 18. Mai 2024

 

Anschrift des Verfassers:

Bertrand Barbey, Dr.oec. HSG, lic.iur.
RailöB GmbH, bertrand.barbey@railoeb.ch


[1] Erich Hoppmann, Preiskontrolle und Als-Ob-Konzept, Tübingen, 1974, S. 9ff.

[2] Generell zum Themenkomplex in Barbey Bertrand, Kartellgesetz und marktmächtige Pharma-Unternehmen, Diss. St. Gallen, 1981

[3] Dazu Riebel Paul, Kosten und Preise, 2.Auflage, Opladen 1972, S. 57ff.

[4] Richtlinie EFD vom 28.12.2009 über die Vereinbarung eines Einsichtsrechtes bei Beschaffungen des Bundes, im aktuellen Recht umformuliert zum  Art. 24 VöB (Kann-Bestimmung zur Preisprüfung).

[5] Die bevorstehende Ausschreibung BBB/ZVV/BEST wird zeigen, ob dies der Fall ist.

[6] Richtlinie EFD vom 18.12.2020 zur Preisprüfung bei Beschaffungen des Bundes

 

Briefing 6a:24