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FV-Dosto – (k)eine Fehlinvestition
Briefing 9/23

In Zeiten des Wahlkampfes lässt sich gehörig auf die Pauke hauen. So der Mitte-Präsident Gerhard Pfister unlängst in der NZZ am Sonntag in einem Rundumschlag gegen den unfähigen Service Public. Auch die SBB bekommen ihr Fett ab unter anderem mit dem FV-Dosto, den Pfister als «gigantische Fehlinvestition» bezeichnet (NZZ a.S., 9.9.23). Das Projekt steht unkommentiert im Raum, als Exempel eines aus dem Ruder laufenden Service Public, der auf Nachhilfestunden des promovierten Philosophen Pfister angewiesen wäre.  Ebenso erstaunt nimmt man vom Beitrag des Ökonomen Rainer Eichenberger Kenntnis, der die totale Entsorgung der FV-Dosto Flotte fordert. Begründung unklar (Handelszeitung, 31.3.23).

Es ist Zeit für etwas Gegensteuer. Der FV-Dosto gehört heute zu den zuverlässigsten Zügen der SBB. Die Gründe seiner wechselhaften Projektgeschichte sind vielfältig, oft drittbestimmt und in dieser Serie bereits von vielen Seiten beleuchtet worden. Man kann sich fragen, wie fair es ist, auf dem Buckel eines Rollmateriallieferanten Wahlkampf zu betreiben, der unter schwierigsten Projektbedingungen ein Projekt vollendet hat, u.a. auch als Opfer einer gegen die SBB und den öffentlichen Verkehr gerichteten Medienkampagne.

Fehlinvestition – wie definiert?

 Als Fehlinvestition wird in der Wirtschaft eine Investition bezeichnet, deren Investitionsausgaben im Verlauf der Lebensdauer der beschafften Produkte nicht durch Einnahmen gedeckt werden. Bei kurzfristiger Betrachtung schaffen Verzögerungen bei der Inbetriebnahme Folgekosten, z.B. durch die Weiterverendung unrentabler Produkte, durch das Ausbleiben erhoffter Einsparungen oder Effizienzgewinne oder durch organisatorische Massnahmen, die rückgängig gemacht werden müssen. Der massgebliche Zeitraum, der bei einer Fehlinvestition betrachtet werden muss, hängt von der Lebenserwartung (Design Life) des beschafften Gutes ab. Je länger ein Gut in Betrieb ist, umso grösser die Wahrscheinlichkeit, getätigte Investitionen zurückzuverdienen und Gewinne zu erzielen.

Eine Flotte wie der FV-Dosto ist auf ein Design Life von 40 Jahren ausgelegt. Seit 2018 sind die Fahrzeuge sukzessive in Betrieb genommen worden. Die Frage der Fehlinvestition lässt sich somit erst 2058 abschliessend beurteilen oder vorher, falls die Fahrzeuge vorzeitig ausser Betrieb genommen werden.

 Kennt Pfister das Ausmass der Fehlinvestition?

 Das Ausmass der Fehlinvestition müsste, wenn schon unter folgenden Kriterien beleuchtet werden: erstens unter dem Aspekt der objektiven Erfüllbarkeit einer Anzahl von unreflektierten Anforderungen des Beschaffungsverfahrens, zweitens unter dem Aspekt der Selbst- und Dritt-Einflussnahme ins Projektgeschehen, vorab durch die SBB, Behindertenorganisationen und Zulassungsbehörden und schliesslich drittens unter dem Aspekt eigenen Verschuldens der Lieferantin Bombardier. Jede Investition birgt Risiken, je höher die Investition, desto höher die potenziellen Risiken. Mit dem Betrag von rund CHF 2 Mia. hat die SBB terminlich und technisch Höchstleistungen eingekauft, ohne auch nur ansatzweise die damit verbundenen Machbarkeitsrisiken abgesichert zu haben. Keiner der infrage kommenden drei Lieferanten war in der Lage einen Prototyp vorzulegen, mit dem die Anforderung des Stundentakts zwischen den Knoten St. Gallen – Zürich – Bern – Lausanne – Genf auch nur annähernd hätte glaubhaft gemacht werden können (vgl. SER 5/2010, S. 227). Diese Anforderung erwies sich in der Folge als unerfüllbar, WAKO als funktionsfähige, d.h. betriebsbereite und abgenommene, allerdings komfortrelevante Technologie war zwar der Beweis, dass die Zentren dank WAKO im Stundentakt erreichbar sind, allerdings mit Komforteinbussen. Es ist einfach schade, dass WAKO unter dem Druck der Medien als Technologie kurzerhand eingestampft wurde, obschon objektiv und unter Berücksichtigung der Parameter Trasse, Belegung, Geschwindigkeit und komparative Komforteinbussen zu anderen Doppelstockflotten der SBB nie belastbare Erhebungen vorgelegt wurden. Wenn Pfister somit sein Statement der «gigantischen Fehlinvestition» vorträgt wäre nachzutragen, dass WAKO zu Unrecht von der SBB als Technologie nicht weiterverfolgt worden ist, stattdessen die ungelösten Probleme des Ost-West-Stundentakts weiterbestehen. Die Fehlinvestition ist somit eine solche, die zumindest auch durch einen mutwilligen Verzicht entstanden ist.

Kennt Pfister die Ursachen des Verzuges?

 Die Fehlinvestition ist aber auch eine solche des Verzuges. Wie sind die 4 Jahre Verzug entstanden, wer hat sie zu vertreten? Klar, in erster Linie die Lieferantin, die mutwillig einen Vertrag mit knallharten Terminverpflichtungen unterschrieben hat, bzw. zwangsweise unterschreiben musste. Der Verzug ist allerdings auch dritt- und fremdbestimmt.  Noch nie ist ein Bahnprojekt von mindestens 2 gerichtlichen Interventionen der Behindertenverbände verzögert worden (eine dritte Intervention scheint noch nach zwei verlorenen Prozessen auszustehen, vgl. Medienmitteilung Inclusion Handicap, 18.9.23). Besonders ärgerlich ist diese Situation, nachdem die Behindertenverbände Gelegenheit hatten, eine 1:1 Maquette des Fahrzeuges im Detail zu besichtigen, dabei aber offenbar die späteren Streitpunkte übersehen hatten. Man muss sich fragen, was ein aufwändiger Modellbau bringt, wenn er von den Adressaten nicht wirklich ernst genommen wird.

Sodann muss man sich fragen, ob ein Entwicklungsprojekt fairerweise nicht terminliche Flexibilität überall dort einschliessen sollte, wo terminliche Zusicherungen schlichtweg unmöglich sind. Kein rational handelndes Unternehmen würde sich im Wettbewerb terminlichen Zusicherungen unterwerfen, die massgeblich von Drittvoraussetzungen bzw. generell von Leistungen Dritter abhängig sind. Zu nennen sind hier die DACH-Zulassungsbehörden und ihre unterschiedlichen nationalen Prioritäten, zu nennen sind Leistungen des Kontrahenten SBB, wie Mitwirkungen, Testfahrten, Abnahmen und sonstige Erfüllungshandlungen, wie zeitnahe Entscheidungen im Änderungsverfahren u.a.m. Unter den genannten Voraussetzungen entsteht ein administrativer Mega-Aufwand für beide Vertragspartner, der jede Planung und Termintreue unterminiert. Davon zu berichten, wissen alle, die am Projekt mitgewirkt haben.

Kennt Pfister das mannigfach abgeänderte Anforderungsprofil des Projektes?

 So wurden im Zuge des Projektes über 200 Leistungsänderungen beantragt, oft abgelehnt, durchgesetzt und formell per Nachtrag mit Termin- und Kostenfolgen bestätigt. Dieser überdurchschnittliche Aufwand hat seinen Ursprung nicht nur in Fehlern, Lücken und Widersprüchen im Anforderungskatalog bzw. im Angebot der Lieferantin, sondern auch in der fehlenden Einsicht der Beschaffungsstelle, dass ein Projekt «FV-Dosto» zwangsläufig Neuland beinhaltet, das kaum hinreichend spezifiziert werden kann. Wissen SBB und die Lieferantin genau, was sie benötigen und fordern und bzw. was sie anbieten und zusichern können entsteht kaum ein grosser Bedarf an Leistungsänderungen. Genau in diesem Punkt ist die entscheidende Schwachstelle des Projektes zu orten.

 Kennt Pfister den blauen Teil des WLV?

 Natürlich nicht. Verträge sind des Juristen Brot und Alltag, der Praktiker und v.a. der Politiker hat keine Ahnung, was auf dieser Schiene hin- und hergeht. Gerne delegiert das Management das Vertragswesen an die Spezialisten. Dabei wird hier über Unsummen befunden. Z.B. im Zusammenhang  mit der Haftungsbegrenzung, die im Projekt «FV-Dosto» erstmals in der Beschaffungsgeschichte grosser Flotten der SBB auf 40% der Vertragssumme erhöht wurde. Gerade die Delegation der formellen Vertragsgestaltung an die Spezialisten birgt eine Gefahr von formellen Problemen oder Unklarheiten, die sich negativ auf das Projektgeschehen auswirken, v.a. wenn es ich um unverhandelbare (blaue) Teile des Vertrages handelt. So steht z.B. im Anhang 2b des einschlägigen Vertrages für zahlreiche Zwischenziele (Milestones), dass bei Nichterreichen des Zieles eine Vertragsstrafe pro Monat geschuldet  ist. Im Anhang 19 des Vertrages werden die Vertragsstrafen nochmals aufgelistet, allerdings ohne die Hinweise «pro Monat». Da es sich um insgesamt 24 Milestones handelt, die mehrheitlich mit 6-stelligen Konventionalstrafen bewehrt sind ist dieser Unterschied keinesfalls eine Lappalie. Das Beispiel – unter vielen – zeigt, wie sich in einem aufoktroyierten Vertrag Fehler einschleichen können, die nicht nur die Juristen monatelang beschäftigen, sondern auch das Projektklima massgeblich beeinträchtigen. Der Vertrag, dessen Redaktion und Handhabung haben somit ebenfalls ihren Anteil am schlechten Ausgang eines Projektes wie «FV-Dosto».

Fazit

 Es ist immer wieder bemerkenswert, mit welcher «Nonchalance» die Parteioberen über vermeintliche Fehlleistungen von staatlichen Stellen herziehen, um daraus politisches Kapital zu schlagen. Die Injurie «gigantische Fehlinvestition» ist aber reine Stimmungsmache und lässt sich weder mit der Projektgeschichte noch mit den heute vorliegenden Fakten begründen oder rechtfertigen. Pfister spielt sich als Besserwisser auf, der die Projektgeschichte ausblendet und aus der unbegründeten Kritik gegen den FV-Dosto bzw. indirekt die SBB politisches Kapital schlagen will. Getreu dem Motto: «Man haut den Sack, meint aber den Esel».

 Anschrift des Verfassers:

Bertrand Barbey, Dr.oec. HSG, lic.iur.
RailöB GmbH, bertrand.barbey@railoeb.ch