Mark Knopfler hat in seiner Session „A Night in London“ anno 1996 – eine seiner allerbesten – mit seinen Kollegen Sonny Landreth, Richard Bennet, Glenn Wharf und Paul Franklin einen unsterblichen Gitarrendialog geschaffen, der jedes Eisenbahnerherz erfreut. Im 5-Klang der involvierten Instrumente entwickelt sich mit «Gravy Train» eine ereignisreiche Fahrt durch Tunnels, Kurven und Schnellstrecken. „Riding on the Gravy Train“ hat im englischen Slang die Bedeutung des schnellen Geldes, einer Betätigung, mit der man, ohne viel Arbeit zu leisten absahnen kann. Im hier relevanten Kontext geht es um die Frage, ob es sich beim FV-Dosto auch um einen «Gravy Train» handelt, bei dem die Verantwortlichen für Nichtstun bezahlt wurden und schnelles Geld gemacht haben. Die Antwort lautet definitiv nein.
Mark Knopfler – eine Legende
Bevor wir uns der gestellten Frage hinwenden, lohnt es sich, den Song von Mark Knopfler genauer anzusehen. Der Text gehört wie zahlreiche seiner Liedertexte ins sozialkritische Repertoire des Künstlers, mit dem er den Gegensatz zwischen den Vergessenen, den Schuftenden, den Ausgebeuteten schlechthin und den Privilegierten, Versnobten schonungslos, wenn nicht zynisch aufzeigt.
„Well they fly past the ghettos and the factories
Riding on the gravy train
All of the places that they really ought to be
Riding on the gravy train
Past the coal mines black and scarred
The slaughterhouses and the loading yards
On the gravy train, on the gravy train
There’s the lucky little mothers in the luxury cars
Riding on the gravy train
Never thank each other or their lucky stars
Riding on the gravy train
What’s worse than ingratitude
Worse than a piss poor attitude
On the gravy train, on the gravy train
Ah the ganger-uppers and the hangers-on
Riding on the gravy train
Champagne suppers with the daggers all drawn
Riding on the gravy train
Some act tough, some act rude
Some bit of fluff complains about the food
You want to see a body getting really crude
Get on the gravy train, gravy train
Well the golden goose is clattering down the track
And they’re gonna be riding in an old caboose
Coming back
There’s the soldiers of fashion on the hit parade
Riding on the gravy train
Tongue lashing with the bitch brigade
Riding on the gravy train
A freeloader licks my boot
Tell me how he digs my suit
You got lucky son, don’t get cute
Get on the gravy train“
Der Text handelt von Arm und Reich, von Fabriken, Kohlegruben, Schlachthäusern einerseits, von Champagner und Luxusautos andrerseits, von fehlender Dankbarkeit. Zugegeben, der Sprung vom «Gravy Train» in die Projektgeschichte des FV-Dosto ist spektakulär, aber durchaus denk- und vertretbar. Haben Beteiligte schnelles Geld gemacht? Was hiess es für die Lieferantin, Projektrisiken eingehen zu müssen, die kaum kalkulierbar waren, wie z.B. die Entwicklung, Einführung und Zulassung einer neuartigen Drehgestelltechnologie? Aus dem Stand, ohne Prototyping? Bei Fixterminen?
Als bekennender Mark Knopfler und FV-Dosto Fan freue ich mich, dazu nachstehend ein paar Überlegungen anzustellen.
Schnelles Geld
Marktmacht, speziell Nachfragemacht im kartellrechtlichen Sinne spielt im Vergaberecht kaum eine Rolle. Am Ende geht es darum, dass die Vergabestellen möglichst günstig einkaufen, neuerdings nach geltendem Recht nicht nur nach finanziellen Gesichtspunkten. Die faktische Marktmacht, verführt die SBB dazu, ihren Lieferanten Verträge zu oktroyieren, die mit zahllosen Anforderungen und Qualitätskriterien durchsetzt sind, die, vertretbar oder nicht, Pönalen auslösen. So führt eine Verspätung zwingend und regelmässig zu Vertragsstrafen, unabhängig davon, ob objektiv erreichbare Termine stipuliert wurden. Dabei wird vom Umstand abstrahiert, dass die Risikoüberwälzung im Innenverhältnis zu Unterlieferanten in den wenigsten Fällen möglich ist, sei es, weil entsprechendes Haftungssubstrat fehlt, sei es, weil die ihrerseits marktmächtigen Unterlieferanten eine Risikoüberwälzung zurückweisen.
Obsolete Entwicklungen
Zeitverluste entstehen auch durch Planung und Stornierung von Anforderungen.
So muss man sich heute fragen, ob die überaus zeitraubende DACH-Zulassung wirklich nötig war, nachdem die Züge vermutlich gar nicht international zum Einsatz kommen werden. Gleiches gilt für die international einsatzfähigen Vario-Pantographen, eine Entwicklung, die nunmehr obsolet ist. Die Entwicklung und Zulassung der WAKO-Technologie, auf die nunmehr aus (realen oder fiktiven?) Komfortgründen verzichtet wird, gehört auch ins Kapitel der zeitraubenden Obsoleszenzen, verlorene Zeit lässt sich nicht mehr aufholen. Leerläufe wie der Verzicht auf den Minibar-Service und damit auf den obsoleten Lift im Speisewagen und Hunderte von Anpassungen, Änderungen und Präzisierungen des Anforderungskataloges, nicht nur aus Unvermögen der Vertragsparteien, sondern auch infolge veränderter gesetzlicher und normativer Anforderungen verbrannten wertvolle Zeit, die nun bei der Einhaltung der dekretierten Erfüllungstermine fehlte. Besonders nachteilig wirkten sich Beschwerden gegen Ausbaupläne aus, die von Dritter Seite geführt wurden, was im Fall des FV-Dosto zweimal der Fall war (Beschwerden der Behindertenverbände).
Projektleiterkarussell
Wenn die Projektverantwortung im komplexen Langzeitprojekt mehrmals ändert, können sich Übergabe- und Übernahmefriktionen negativ auf das Zeitbudget auswirken. Es gilt der Grundsatz: je häufiger, je bilateraler, umso schlimmer. Im Projekt FV-Dosto kann ich mich an insgesamt mindestens je 6 Wechsel in der Gesamtprojektleitung erinnern, und zwar auf beiden Seiten der Vertragspartner. Wenn man in Rechnung stellt, dass eine reibungslose Projektführung auch auf der persönlichen Ebene stattfinden muss, sind bei diesem Projektleiterkarussell Friktionen vorprogrammiert. Normalerweise gehen sie zu Lasten der Lieferantin, die somit auch aus diesem Grund nicht im «Gravy Train» unterwegs war.
Frustrierte Subunternehmer
Wichtig ist auch der sich als Folge der Verzugsproblematik einstellende Zahlungsaufschub mit Drittwirkung auf die Sublieferanten. Sehr bald stellen sich Liquiditätsprobleme ein, die das Einvernehmen der beteiligten Partner im Projekt beeinträchtigen. Werden Zahlungsziele erstreckt, muss gespart werden, die Lieferantin, die Rechnungen nicht oder spät bezahlt erleidet ein gravierendes Imageproblem. Die Beschaffungsstelle kann den Hahn zudrehen oder öffnen, wie sie will, zu Recht oder zu Unrecht aber immer mit weitreichenden Folgen für die Stimmung und Motivation im Projekt.
Medienschelte, -häme
Und zu guter Letzt, die Medienschelte. Auch sie steht dem Wunsch nach schnellem Geld diametral zuwider. Wenn sich zur projektinternen Schelte auch die Medienlandschaft des Projektes bemächtigt, sinkt jede Hoffnung auf ein entspanntes Projektgeschehen im Innenverhältnis der Vertragspartner. Noch heute wirkt das Medientribunal beim FV-Dosto nach, seine überragende Zuverlässigkeit gibt keine Schlagzeile mehr her, stattdessen steht fest, dass es sich bei FV-Dosto um eine Fehlinvestition handelt. So unlängst in der Weltwoche, die ein Tribunal gegen Vincent Ducrot hielt und ihn für eine der „grössten Fehlinvestitionen in der europäischen Eisenbahngeschichte“ verantwortlich machte (Weltwoche 25.24, S. 16, vgl. auch Briefing 9/23). Er, der in der fraglichen Zeit von 2011-2019 gar nicht ins Projekt eingreifen konnte. Das Thema «FV-Dosto – Gravy Train» ist somit nicht vom Tisch und wird wohl im Rahmen der anstehenden Beschaffung «Zürcher S-Bahn» neu aufleben. Wünschbarer Anbieterwettbewerb im Bahnbeschaffungsrecht einerseits oder unvermeidbares Stadler-Anbietermonopol andrerseits – so lautet eine der Kernfragen. Letzteres hätte immerhin zur Folge, dass die SBB von ihrem einseitigen Vertragsdiktat etwas Abstand nehmen müsste
Anschrift des Verfassers:
Bertrand Barbey, Dr.oec. HSG, lic.iur.
RailöB GmbH, Bahnvergaberecht aktuell
bertrand.barbey@railoeb.ch