Wer weiss schon, dass die VBZ nach den SBB das zweitwichtigste Personentransportunternehmen der Schweiz sind. Die VBZ-Tramlinien transportieren pro Jahr 164,4 Mio. Fahrgäste und erbringen eine Fahrleistung von 325,2 Millionen Personenkilometern (Zahlen VBZ, 2022).
Die prägende Rolle der VBZ im Grossraum Zürich hat zur Folge, dass der Lieferant der blauen Trams mit Prestige rechnen darf. Nachdem das wenig erfreuliche Seilziehen um den Zuschlag im Beschaffungsverfahren „Ersatz Tram 2000“ 2012-2017 Vergangenheit ist wenden wir uns dem Ergebnis dieser unglaublichen Geschichte zu: dem Flexity Zürich, einem eleganten Hingucker in dieser schönen Stadt.
Wieso?
Der erste Eindruck: ein grossartiges Fahrzeug. Es verfügt über einladende Stehplatzflächen, offene Wagendurchgänge und grosszügige Türauffangräume. Das Flexity (Typ-Bezeichnung „Flexity 2“) ist 43 m lang, 5 m länger als sein Vorgänger Cobra. 90 Sitzplätze und über 188 Stehplätze (4P/m2) stehen den Tramkunden zur Verfügung. 1 Flexity entspricht grob 2 Tram2000, jenem Tram, das es zu ersetzen hat.
Mittlerweile verkehrt das Flexity auf den Linien 4, 11 und 17. Die Flexity-Fahrzeuge sind als Ersatz für die bisherigen Tram 2000 Doppeltraktionen eingeplant, also zusätzlich noch auf den Linien 2, 7 und 13 und 14. Zunächst fällt dem Passagier die grosszügige Bestückung der Haltestangen mit USP- und USP-C Anschlüssen auf, das Tram ist modern und geht mit der Zeit. Zum Start ertönt ein schrilles Warnsignal, das allen drinnen und draussen zur Vorsicht mahnt und die Abfahrt ankündigt. Irgendwie erinnert das Signal an das Klingeln der alten Telefone mit Wählscheibe. A propos Nostalgie: das VBZ Flexity ist Gewinner des «reddot-Design Awards 2020» u.a. auch weil es mit den ergonomisch geformten Sitzen aus Buchenholz und den grosszügigen Fensterfronten Erinnerungen an altes Rollmaterial und Tramhäuschen aus den 30-iger Jahren wachruft. In den Holzsitzen ist jeweils der VBZ-Logo integriert, den Logo des verdienten Lieferanten Bombardier sucht man allerdings vergeblich, schade. Der rückwärtige Raum im Heck bietet viel Beinfreiheit und Platz für eine gemütliche Runde, der grosse Fensteranteil bietet eine prächtige Aussicht, allerdings auch ausreichend Wärme im Sommer.
Grosser Wert wurde auf maximalen Komfort für Personen mit Einschränkungen gelegt, etwa mit breiten Einstiegstüren und grosszügigen Rollstuhlplätzen. Eine energieoptimierte, beladungsabhängige Klimaanlage sorgt für ein durchwegs angenehmes Klima im Fahrgastraum. Mehr Sicherheit bringen Leuchtstreifen an Türkanten der Fahrgasttüren sowie Leuchtmittel an Front und Heck des Fahrzeuges, die den Freigabestatus der Fahrgasttüren anzeigen (die Form des VBZ-Logos stand übrigens Pate bei der Gestaltung der Front-und Heckbeleuchtung).
Fahrkomfort im Stadtverkehr
Auf meiner Testfahrt mit der Linie 17 fällt das Fahrzeug plötzlich durch ein holpriges Bremsen und später durch eine ausgedehnte Wiegen- und Schwenkbewegung auf. Sind es Mängel am Fahrzeug, wartungsbedürftige Trassen, der Grad der Fahrzeugbelegung, die Geschwindigkeit oder nur das subjektive Empfinden des Fahrgastes? Ist hier eine ähnliche Hysterie wie im Fall FV-Dosto versäumt worden? Eine von bestimmten Medien gezielt alimentierte Hysterie, die allerdings heute ohne Rücksicht auf entstandene Kollateralschäden total verstummt ist.
Der Flexity bringt locker 90 km/h auf die Schiene. Bei der aktuellen Diskussion über Tempo 30 in der Stadt Zürich eine spannende Ausgangslage. Im Schnitt fährt die Stadtbahn gut 50 km/h, auf der Höhe Bändlistrasse mutiert die Stadtbahn zaghaft zur ZVV-Vorortbahn und bringt es immerhin auf 59 km/h.
ODAS
Der Flexity 2 ist mit dem Obstacle Detection Assistance System (ODAS) ausgestattet, das die Sicherheit für Strassenbahnfahrer, Fahrgäste und andere Verkehrsteilnehmer erhöht. Das modulare System unterstützt den Fahrer selbst in äusserst unübersichtlichen Situationen, erkennt Gefahren und setzt ein Warnsignal an den Fahrer ab bzw. ist in der Lage, umgehend mit einer Bremsung Gefahren abzuwenden.
Neulackierung – ein Witz
Dass das Flexity Tram auch nach seiner Inbetriebnahme Ämter und Parlamente beschäftigen wird war abzusehen. Martin Rubli (SP) fordert am 30. März 2022 im Zürcher Gemeinderat ein rigoroses Umlackieren der Fahrzeuge. Begründung: zu viel Aargau. Die schwarzen Einfassungen der Fensterflächen erinnerten zu fest an den Nachbarkanton und entsprächen nicht dem «klassischen blau-weiss der Zürcher Hausfarben». Rubli fordert ein konsequentes Umsetzen des «Jakob»-Designs, sein Antrag wird allerdings mit 42 zu 19 Stimmen abgelehnt.
In der Leserumfrage von «20 Minuten» fragen sich 77% der Befragten, ob diese Zürcher eigentlich nicht andere Probleme haben? Oder anders gefragt: sind diese Zürcher eigentlich noch bei Trost?
Anschrift des Verfassers:
Bertrand Barbey, Dr.oec. HSG, lic.iur.
RailöB GmbH, bertrand.barbey@railoeb.ch