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BöB-Revision – die Rechtslehre dankt
(Briefing 12/24)

Vor kurzem durfte ich in ein Webinar von «Bauen Schweiz» zum Thema erste Urteile unter dem neuen Vergaberecht reinhören. Es referierten ein Vergabeanwalt aus Bern und ein Bundesrichter aus St. Gallen. Grundtenor: es geht vorwärts aber zu langsam. Das Gesetz ist komplizierter und damit bürokratischer geworden. Die Beschaffungsstellen hadern mit dem Zuschlagskriterium Preis, das seine Prominenz verloren hat. Stattdessen weiss niemand so genau, was Nachhaltigkeit im Vergaberecht bedeutet, v.a. langfristig betrachtet und im Zeitablauf einer Beschaffung. Vor Überforderung und Angst vor Beschwerden werden neue Modelle, d.h. der viel gelobte Paradigmenwechsel gemieden. Es fehlt an Mut und Überzeugung.

Paradigmenwechsel – Zwang zur nachhaltigen Beschaffung

Man gibt sich grün und hat seit der Annahme des neuen Stromgesetzes auch gar keine andere Wahl mehr als nachhaltig zu beschaffen. Geht die Wette auf, dass mit vergabe–rechtlichem Zwang die Energiewende schneller stattfinden wird? Wenn man dem Protagonisten und Bundesrichter Marc Steiner zuhört wird man den Eindruck nicht los, dass hier viel Schaum geschlagen wird. In seinem Referat wird der hehre Paradigmenwechsel propagiert, «Geiz als nicht mehr geil» qualifiziert und dies bei leeren Kassen. Stattdessen plädiert Steiner dafür, dass «je komplexer die Leistung ist, je geringer die Gewichtung des Preises» ausfallen sollte. Sodann erlaubt sich Steiner einen interessanten Ausflug in die Wettbewerbstheorie, indem er festhält, dass «Scheisse, wir waren unterkomplex» Innovation und Preiswettbewerb sich nicht ausschliessen. Dieser sollte aber immerhin noch 20% der Gewichtung ausmachen (als Faustregel). Vom Feldzug gegen die «Verlässlichkeit» des Preises scheint aber zu Recht Abstand genommen worden sein (vgl. BPUK, Faktenblatt Verlässlichkeit des Preises nach Art. 29 Abs. 1 BöB).

Versucht man diesen Ausführungen zu folgen, wird einem bewusst mit welchen praktischen Rechtsanwendungsproblemen die Beschaffungspraxis zu kämpfen hat. Die Lust an der Weiterentwicklung des Vergaberechtes scheint verloren gegangen zu sein. Die Beschaffungsstellen weigern sich den Paradigmenwechsel aus Angst vor Beschwerden umzusetzen. Resultat: die Leading Cases zum neuen Vergaberecht kann man einer Hand abzählen.

SBB/Zürcher S-Bahn – Beschaffung im neuen Recht

Auch für die SBB besteht nun die Gelegenheit den Paradigmenwechsel bei der neuen Grossbeschaffung in Milliardenhöhe zu vollziehen. Was ändert sich im Vergleich zu früheren Grossbeschaffungen? Aus den allgemein zugänglichen Simap-Unterlagen lässt sich materiell so gut wie nichts über den Rahmen der Beschaffung aussagen, nicht einmal die Zuschlagskriterien sind dem Publikum bekannt gegeben worden. Stattdessen wird auf die Ausschreibungsunterlagen hingewiesen, die nur erhält, wer teilnimmt. Im Vergleich zur umfangreichen Simap-Ausschreibung «FV-Dosto», wo alle relevanten Teilnahme–bedingungen und Spielregeln von Anfang an klar waren, so auch die interessante Benotung der «Akzeptanz des Werkliefervertrages» haben wir es in dieser laufenden Beschaffung mit einer äusserst zurückhaltenden Informationspolitik zu tun. Das Publikum soll im Voraus nicht beigezogen werden, wohl aus gemachten medialen Erfahrungen in anderen Beschaffungs–projekten. Diese Geheimnistuerei nervt.

Wie soll nun nachhaltig beschafft werden, wenn erstens der Zuschlagsempfänger so gut wie sicher bzw. mit grosser Wahrscheinlichkeit schon feststeht? Wie sollen Nachhaltigkeits–anforderungen z.B. im Zusammenhang mit der Lebensdauer der Flotte bzw. von wichtigen Komponenten derselben im Voraus geprüft und als qualitativ besser oder schlechter als jene der Mitbewerber eingestuft werden?  Welches Gewicht kommt noch dem Preis und der Wirtschaftlichkeit (RAMS/LCC) zu, wenn z.B. der Energieverbrauch zum kardinalen Zuschlagskriterium mutiert? In welchem Verhältnis stehen die ökonomische, ökologische und soziale «Nachhaltigkeit» zueinander?

Aus der Sicht meiner Erfahrungen mit dem Projekt «FV-Dosto» kann ich mir aus pragmatischer Sicht nur folgende Hauptaspekte der «Nachhaltigkeit» vorstellen, die in die Begründung des Zuschlages Eingang finden müssen:

  1. Nachdem alle Anbieter voraussichtlich Firmen mit Sitz in der Schweiz sind, dürften sie im Zusammenhang mit der sozialen Nachhaltigkeit alle auf ungefähr gleichem Niveau sein, also gleichermassen gut oder schlecht die ILO-Gesetzgebung zum Schutz der Rechte der Arbeitnehmer, zur intersexuellen Lohnparität etc. einhalten (vgl. Art. 12, Abs. 4 BöB). Unsicher wird die Antwort allerdings auf Stufe der Unterlieferanten, die lediglich über eine vertragliche Auflage dazu eingeladen werden, sozial nachhaltig zu agieren. Bei etwa 30 Unterlieferanten und mindestens drei Anbietern, d.h. bei ca. 90 Prüfsituationen wird diese Anforderung zur Farce bzw. zur heillosen Über–forderung der Beschaffungsstelle.
  2. Im Zentrum der Nachhaltigkeit steht die «ökologische Nachhaltigkeit», d.h. die Frage, welchen Beitrag die Beschaffungsstelle durch umsichtige Selektion zum Energieverbrauch anstellen kann. Hier ist zunächst einzuräumen, dass der Energieverbrauch der jeweiligen Flotten seit jeher Eingang in den Anforderungskatalog gefunden hat. Garantierte Verbrauchswerte wurden mit Pönalen belegt, wenn sie überschritten wurden. Nachdem das Thema Ökologie allerdings nicht als Momentaufnahme, sondern immer im Zeitablauf beurteilt werden muss – gemäss SBB-Direktor Vincent Ducrot beträgt das Designlife einer Flotte neuerdings nur noch 25 Jahre – zwingt dieses Beurteilungskriterium zu einer Prognose, die kaum auf Verlässlichkeit überprüft werden kann. Sicherlich kann eine Erfassung der garantierten Lebensdauer von Komponenten, bzw. die Wartbarkeit derselben eine wichtige Angabe sein und Differenzierungen unter der Anbietern ermöglichen. Solange Züge allerdings mit Strom betrieben werden, muss sich dieses Nachhaltigkeitskriterium primär auf den Energieverbrauch beziehen, wie schon früher.
  3. Interessant wird nun die Frage nach der ökonomischen Nachhaltigkeit. Geht es hier nun um den langfristigen ökologischen Fussabdruck mit wirtschaftlichen Folgen, um  Nachhaltigkeitsstrategien der Anbieter, um Recycling oder schlicht um Umweltberichte externer Stellen, die das Kriterium konkretisieren? Konnte früher ein jeder mit dem Kriterium des wirtschaftlich günstigsten Angebots umgehen braucht es jetzt einen tiefen Einblick in das Unternehmen, um dem Kriterium ökonomischen Nachhaltigekeit Inhalt zu geben. Dabei ist Willkür vorprogrammiert, weil das Beurteilungsspektrum zu gross ist.

Fazit: komplizierter, damit bürokratischer 

Wir erwarten, dass bei der Beschaffung «Zürcher S-Bahn» die Nachhaltigkeit des selektierten Angebotes genau begründet werden kann, ansonsten sind Beschwerden vorprogrammiert, geht es doch erneut um einen Auftrag in doppelter Milliardenhöhe. Wir sind gespannt, ob die SBB den Mut aufbringen wird, das neue BöB buchstabengetreu, faktenbasiert und umfassend anzuwenden oder schlicht aus pragmatischen Gründen darauf verzichtet.

Seengen, 13.11.2024

Anschrift des Verfassers:

Bertrand Barbey, Dr.oec. HSG, lic.iur. 
RailöB GmbH, bertrand.barbey@railoeb.ch