Pro Jahr erwischt es 2000 Fahrzeuge der SBB, Sprayereien kosten die SBB direkt über CHF 6 Mio. pro Jahr, ein Betrag, den letztlich die SBB-Kunden bezahlen müssen. Hinzu kommen alle indirekten Kosten wie Umtriebe, Transportausfall etc. Die wenigen gefassten Täter, sind oft jung und können den Schaden nicht ersetzen. So bleibt die SBB in der Regel auf den Kosten sitzen und wälzt diese weiter an die Kunden.
Wieso lassen wir uns diese 5 beschädigten Fahrzeuge pro Tag geduldig gefallen?
Das Strafmass wirkt auf jeden Fall nicht abschreckend: Auf Antrag wird Sachbeschädigung mit Geld- und/oder Freiheitstrafen – bei «grossen Schäden» in der Theorie bis zu 5 Jahren – bestraft. Aufgrund einer sehr gutmütigen Praxis der Gerichte lacht sich ein professioneller Sprayer über dieses Strafmass allerdings einen echten «Schranz in den Bauch».[1]
Zur Psyche des Sprayers
Wie kommt eine Spezies Jugendlicher dazu, sich an fremdem Eigentum auf eine derart dreiste Art und Weise zu vergreifen? Worin besteht der Kick dieser blindwütigen Beschädigung fremden Eigentums? Sind es jugendliche Hypochonder, Egoisten, Selbstdarsteller, die sich in einschlägigen Foren feiern lassen? Wie lange noch ist «Sprayen» in?
Die weit verbreitete Seuche – nimmt man neben den Sprayereien an Fahrzeugen noch jene an Bahnhofimmobilien hinzu – lässt sich nicht als Tat einzelner verwirrter Halbwüchsigen begreifen. Das Ausmass der Sprayereien lässt vielmehr auf ein gesellschaftliches Phänomen schliessen. Es ist offenbar schick, und in weiten Kreisen anerkannt, sich auf diese Weise in Szene zu setzen. Ein offenbar machtloser Staat verdient keinen Respekt. Die zuverlässige SBB ist ein Repräsentant dieses geduldigen Staates, ihr Rollmaterial das ideale Medium, das die negative Energie der Sprayer-Gemeinde empfangen soll. Wut gegen die Schweiz, Wut gegen die SBB oder am Ende Wut gegen sich selbst, ist man doch als Sprayer nichts als ein elender Versager.
Prügelstrafe einführen?
Was in Singapur Gang und gäbe ist wäre hier undenkbar[2]. Trotzdem muss man sich fragen, ob die sanfte Strafpraxis unserer Gerichte bei dieser Vielzahl an Nachahmungs- bzw. Wiederholungstätern ihren Zweck erfüllt. Solange ein Harald Nägeli im Grossmünster mit seinem Totentanz als Künstler gefeiert wird, werden sich allerdings seine Nachahmer in ihrem Unterfangen bestärkt sehen. Um etwas am Status quo zu ändern, wäre somit eine drastische Änderung unseres Umgangs mit Sprayern angezeigt. Statt sie zu prügeln wie in Singapur, wäre es angemessen, sie in Schauprozessen exemplarisch in den Reinigungsprozess einzubinden, damit sie die äusserst schädlichen und giftigen Aspekte ihres Tuns am eigenen Leib erfahren könnten (dazu mehr weiter unten).
Doch zuerst müssen sie gefasst werden, und das ist nicht einfach.
Das Beispiel KCBR zeigt, wie leicht man der Justiz auf der Nase rumtanzen kann.[3] KCBR steht dabei für «Kings Club Be Retarded», frei übersetzt «behinderte Könige». Wenn man bedenkt, mit welch organisierter Kriminalität diese berüchtigte Gruppe ans Werk geht scheint der Kampf schon verloren, bevor er begonnen hat. Die Sprayereien dienen hier nicht nur der Zerstörung und Selbstdarstellung Einzelner, es handelt sich vielmehr um generalstabsmässige, bandenmässige Kriminalität. Auf der offiziellen KCBR Instagram Plattform sind nicht weniger als 632 Beiträge gepostet, weitgehend Züge der SBB, die dran glauben mussten. In der nicht mehr überblickbaren Menge von geposteten Heldentaten konnte ich den allerdreisteten Fall nicht mehr finden, der darin bestand, zwei S-Bahn Kompositionen an verschiedenen Standorten so zu besprayen, dass tags darauf beim ihrem Zusammenschluss ein KCBR Autogramm entstand – eine Performance, die sicherlich Insider-Knowhow voraussetzte.
In einem längeren WOZ-Interview erfährt man, worum es der Gruppe am Ende geht:
«Bei unseren Aktionen geht es nicht um Gewinn (höchstens um Ruhm in einer relativ kleinen Szene). Es geht um Adrenalinkicks und um Loyalität und Freundschaft. Mit Graffiti können wir höchstens von der Polizei geschnappt und zu hohen Bussen verdonnert werden. Würden wir Banken überfallen, ginge es wohl in erster Linie um Geld. Aber hier? Wer seine ganze Energie für etwas derart Sinnloses verwendet, der verarscht dich nicht».[4]
Aus diesen Zeilen sind zwei Dinge erkennbar: Sehnsucht nach Anerkennung und Geborgenheit, Einsicht in die Absurdität eigenen Handelns, immerhin. Der Schaden ist aber angerichtet und leidtragende Dritte werden damit konfrontiert, blindwütig, arrogant und dumm.
Auch ein Rundschau-Beitrag aus dem Jahr 2014 bestätigt diesen Befund.[5] Graffitis sind offenbar in den Augen der Täter etwas Schöneres als Plakatwände, die zum Konsumieren animieren. Leute wie Verleger Patrick Frey zelebrieren Graffitis als edle Kunst und reden die Arroganz und die Rücksichtslosigkeit schön, die hinter den hinterhältigen Taten steckt. Bahnen als Leinwände für notleidende Kunstmaler, gratis Kulturhilfe vom selbsternannten Graffiti-Kulturkumpel.
Was kostet die Reparatur?
Ein Blick in den Flyer von Dr. Schnell zum Produkt SC Anti-Graffiti-System zeigt einige Aspekte des Alltags jener auf, die sich mit den Folgen der Sprayereien auseinandersetzen müssen. In 10 Schritten wird eine unappetitliche, Chemikalien-intensive und höchst umweltbelastende Arbeit dargestellt mit folgenden Highlights: lösungsmittelfreie Schutzhandschuhe (Nitril) anziehen, dazu Schutzbrille, Arbeitsbekleidung, verarbeitungsgerechtes Gefäss (lösemittelfester Eimer) verwenden, Abzieher mit Gummilippe, Auffangwanne für verschmutzte Reinigungsflotte beiziehen, kratzfreie Pads (weiss), Schwämme, Pinsel, Bürste oder Besen (alles lösemittelfest) verwenden, Einmaltücher, Papier, Müllbeutel bereitstellen, klares, kaltes Wasser zum Nachspülen verwenden, Entsorgungsbehälter für die mit Farbresten verschmutzte oder belastete Reinungsflotte bereitstellen (als Sondermüll zu entsorgen). Und weiter: der Arbeitsgang ist aufgrund unterschiedlicher Lösezeiten der Graffitifarben mehrmals zu wiederholen; mehr oder weniger abbaubare nichtionische und anionische Tenside und Lösungsmittel lassen grüssen.
Man stelle sich vor: der jugendliche Graffiti-Täter wird gefasst, das Strafverfahren mit Busse interessiert ihn kaum, Zivilverfahren sind mangels Aktiven zwecklos, er kommt ungeschoren auf freien Fuss. Oder alternativ: er wird eingezogen und putzt das Fahrzeug eigenhändig, hantiert mit giftigen Chemikalien, beseitigt den Sondermüll mit eigenen Händen. Der Vorgang wird gefilmt und kommentiert und auf einschlägigen Foren publiziert (aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes wohl verpixelt und anonymisiert). Bei den horrenden Summen, die anfallen, wäre der Beitrag sicher auch für Werbezwecke geeignet nach dem Motto: «Wenn wir dich schnappen, greifst du zum Lappen».
Was niemand versteht?
Staatsanwalt Edwin Lüscher ist seit den Achtzigerjahren Leiter der sogenannten Krawallgruppe. Über 80 Sprayer-Fälle hat er in den letzten 40 Jahren bearbeitet, keinen einzigen hat er zur Anklage gebracht.[6] In einem jüngeren Fall aus dem Jahr 2020 fehlen ebenfalls Beweise, um ein Strafverfahren zu eröffnen. Der reine Aufenthalt am Tatort (erfasst auf Videokamera) beweist gar nichts, DNA-Spuren fehlen, wegen den Handschuhen, die Sprayer tragen.
Wir sind somit von erzieherischen Arbeitseinsätzen meilenweit entfernt.
Und trotzdem: die Spuren, die einzelne Täter oder Communities wie KCBR im Netz hinterlassen müssen eines Tages forensisch verwertet werden können. Es kann nicht sein, dass kriminelle Sprayer auf einem eigens fabrizierten Instagram Account über 600 offensichtliche Taten publizieren, ohne dass auch nur die geringste Spur zu einschlägigen Koordinaten gefunden werden kann.
Fazit: ein forensischer Dienst mit geeignetem Personal, modernen Ermittlungsmethoden und zweckdienlichen Kompetenzen muss erst noch erfunden werden, es sei denn wir feiern die Graffitis auf Zügen weiterhin als Kunst, dann können wir sowieso alles beim Status quo belassen.
Seengen, 29.01.2025
Anschrift des Verfassers:
Bertrand Barbey, Dr.oec. HSG, lic.iur.
bertrand.barbey@railoeb.ch
[1] StGB Art. 144
1 Wer eine Sache, an der ein fremdes Eigentums‑, Gebrauchs- oder Nutzniessungsrecht besteht, beschädigt, zerstört oder unbrauchbar macht, wird, auf Antrag, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
2 Hat der Täter die Sachbeschädigung aus Anlass einer öffentlichen Zusammenrottung begangen, so wird er von Amtes wegen verfolgt.
3 Hat der Täter einen grossen Schaden verursacht, so kann auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu fünf Jahren erkannt werden. Die Tat wird von Amtes wegen verfolgt.
[2] SRF, Tagesschau, 21.6.2010
[3] https://www.20min.ch/story/graffiti-crew-kcbr-bekritzelt-glaswand-im-zuercher-hauptbahnhof-947878335328
[4] WOZ Nr. 48 – 26.11.2015
[5] https://www.youtube.com/watch?v=aD2SwVj8VDc
[6] TA, 19.05.2020